Musik als Hauptfach

1. Konzeption zum Schulversuch Musik

Musik als Hauptfach – Musikalische Chancen für alle!

von Gerd Haehnel

Im Jahre 1986 wurde ich bei der Neugründung der Gesamtschule Essen Mitte vom damaligen Schulleiter, Herrn LRSD Jörg Hoffmann, beauftragt, den von ihm initiierten Schulversuch im Fach Musik (als Hauptfach im Wahlpflichtbereich I) inhaltlich zu konzipieren, an dem zunächst Dr. Folke Augustini und Helga Brüx, später auch noch viele andere KollegInnen mitgewirkt haben und der auch heute noch immer sehr erfolgreich läuft und übrigens auch bundesweit rezipiert worden ist. Ich bin Herrn Hoffmann für diese Initiative sehr dankbar, denn dieser Schulversuch war die Grundlage für meine weiteren musikpädagogischen Konzepte. Lesen Sie aber zunächst, was mir der damalige Bundesvorsitzende des bundesweit stärksten musikpädagogischen Fachverbandes (VDS – Verband deutscher Schulmusiker schrieb:

Sehr geehrter Herr Kollege Haehnel,
mit großem Interesse und mit Bewunderung habe ich Ihre Papiere zu dem von Ihnen initiierten Schulversuch Musik gelesen. Wenn nach diesem Modell bundesweit unterrichtet würde, hätten wir vermutlich erheblich weniger Sorgen, wie wir auf Erscheinungen allgemeiner Orientierungssicherheit musikpädagogisch reagieren sollten. Ich möchte Ihr Modell uneingeschränkt als vorbildlich bezeichnen.
So weit Prof. Dr. Dieter Zimmerschied im Januar 1996 in einem Schreiben an mich.

An dieser Stelle geht es mir nicht um die Darstellung dieses Schulversuches.(Zu einem entsprechenden Erfahrungsbericht vergleiche hier oder z.B. auch Haehnel, Gerd: Musik als Hauptfach. In: Musik und Bildung, Heft 4, 1996, S. 32-35; mit weiteren Literaturangaben.)

Vielmehr möchte ich, ganz allgemein und losgelöst von einer konkreten Schulsituation, die musikdidaktischen Teile der von mir beschriebenen Konzeption wieder zugänglich machen, die anderen Schulen vielleicht dabei behilflich sein könnten, sich ebenfalls auf die Suche nach der Musik als Hauptfach zu machen.

Musikalische Chancen für alle

Musikalische Chancen für alle

Zur Einbeziehung des Faches Musik in die Wahlpflichtbereiche I und I
(3. überarbeitete Auflage Essen November 1991)

1. Das wesentliche Ziel: Musikalische Chancen für alle

Durch einen vielfältigen Umgang mit Musik zur allgemeinen und künstlerischen Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung beizutragen, sozialisationsbedingte Defizite in diesen Bereichen aufzuarbeiten und eine aktive, selbstbestimmte Teilnahme am Kulturleben zu ermöglichen, kurz, Musik in ihrer Ganzheit und Vielfältigkeit zu erleben dies sind wichtige Ziele, die wir mit der Integration des Faches Musik in den Wahlpflichtbereich der Gesamtschule allen unseren Schülerinnen und Schülern als Wahlmöglichkeit anbieten wollen.

Engagierten Musikunterricht, der den Schülerinnen und Schülern Freude an der Musik vermittelte und ihnen einen Zugang zu all ihrer Vielfältigkeit ermöglichte, hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Aber wieviele Schülerinnen und Schüler haben in der Schule nie die Chance erhalten, Musik für sich zu entdecken, verließen diese nicht selten in dem Bewußtsein, sie seien unmusikalisch! Natürlich konnten Eltern Defizite der Regelschule kompensieren, etwa indem sie ihrem Kind Instrumentalunterricht erteilen ließen oder es an einer Waldorfschule anmeldeten. Häufig blieb eine intensive Beschäftigung mit Musik also den Schülerinnen und Schülern vorbehalten, deren Eltern von sich aus entsprechende Aktivitäten förderten.

Durch die Einbeziehung des Faches Musik in den Wahlpflichtbereich der Gesamtschule mit ihren besonderen organisatorischen Möglichkeiten bieten sich nun Chancen, die Musik für alle Schülerinnen und Schüler, die dies wünschen, ein Stück weit mehr zu öffnen – das ist ein wesentliches Ziel dieses Konzeptes. Damit erhalten auch Schülerinnen und Schüler der (staatlichen) Gesamtschule in der Sekundarstufe I, neben den sprachlichen, technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen, in Verbindung mit klassenbezogenem Musikunterricht, Arbeitsgemeinschaften und offenen Angeboten ein attraktives Unterrichtsangebot für eine intensive künstlerisch – musikalische Betätigung und Persönlichkeitsbildung.

Dies erscheint angesichts der heutigen Sozialisationsbedingungen in unserer immer stärker durch Massenkulturen geprägten Gesellschaft mit ihren vielfältigen Problemen, in der das Sehen das bewußte Hören in vielfacher Weise stark verdrängt, nicht nur besonders sinnvoll und notwendig, sondern sogar dringend erforderlich. Gleichzeitig werden damit wichtige Ziele der Gesamtschule unterstützt. Bei deren heterogener Schülerschaft wird man überwiegend nicht von Schülerinnen und Schülern ausgehen können, deren Eltern bereits von sich aus künstlerisch initiativ geworden sind, etwa indem sie ihre Kinder ein Instrument haben lernen lassen. Von daher ist es einerseits notwendig, Grundlagen und Voraussetzungen zum Umgang mit Musik und Kunst zu schaffen. Andererseits soll es auch ermöglicht werden, spezielle musikalisch-künstlerische Fähigkeiten und Begabungen zu fördern und anzusprechen.

Die Voraussetzungen für ein solches Vorhaben sind günstig. Allenthalben wird eine stärkere musikalisch-kulturelle Bildung gefordert. Stellvertretend für die vielen Äußerungen sei hier die Vorsitzende des Bundeselternrates zitiert („Die Schule muß Vorbild sein“, Interview mit Ilse-Maria Oppermann, Vorsitzende des Bundeselternrates in: Klassen musizieren, Zeitschrift für Musikpädagogen, Heft 1, September ’89, S. 8):
„Musische Fächer sind unverzichtbarer Bestandteil einer ganzheitlichen Bildung. Sie setzen Impulse und regen zur Kreativität an. Durch gemeinsame Aktivitäten vermitteln sie positive Gruppenbeziehungen und -gefühle sowie gemeinsame Erfolgserlebnisse und fördern das soziale Verhalten. Gerade heute, wo das Tempo des technischen Fortschritts die Spannung zwischen Erhöhung der Lebensqualität und Bedrohung des Lebens – Stichwort Umweltschädigung – unaufhebbar erscheinen läßt, kommt der Ästhetik, insbesondere der Musik, der Kunst, …, dem darstellenden Spiel… besondere Bedeutung zu. … Nicht nur für das Berufsleben vermittelt ästhetische Erziehung Schlüsselqualifikationen wie Kreativität, Wertorientierung, Sensibilität und prägt soziales Verhalten….Deshalb raten wir den Eltern bei der Schulwahl…nach der entsprechenden Ausstattung zu fragen. Wir fordern die Eltern auch auf, sich verstärkt für Inhalt und Bedeutung der musischen Fächer zu interessieren… In unserer jüngsten offiziellen Stellungnahme heißt es auch: Der Bundeselternrat fordert Fachräume mit zeitgemäßer Ausstattung – Instrumente, Medien, Materialien. …es gilt alle Kinder zu fördern.“

2. Organisatorische Grundlagen

2. 1. Chancen im Wahlpflichbereich I

Die im Vergleich zum herkömmlichen Klassenunterricht grundlegend andere Unterrichtsorganisation des Faches Musik im Wahlpflichtbereich I (WP I) ermöglicht auch einen qualitativ anderen Musikunterricht.

Zu diesen äußeren günstigen Bedingungen gehören:

  • die erhöhte Stundenzahl
    An der Gesamtschule erhalten die SchülerInnen in den Klassen 7-10 normalerweise höchstens ein bis zwei Wochenstunden Musikunterricht pro Schuljahr ; durch das Fach Musik im Wahlpflichtbereich I können nun noch einmal drei bis vier Wochenstunden hinzu gewählt werden.
  • die freiwillige Wahl des Faches und das damit verbundene überdurchschnittliche SchülerInneninteresse
  • die gegenüber den Klassen kleinere Lerngruppe (max. 20 – 25 Sch.)
  • die zeitliche und organisatorische Kontinuität im WP I (über 4 Jahre)

Diese organisatorischen Vorteile lassen sich für Fächer, die vor allem handlungs- und projektorientiert arbeiten wollen, noch erhöhen durch

  • die Organisation möglichst in Doppelstunden
  • die Möglichkeit zu einer dreitägigen WP I – Kursfahrt pro Schuljahr (evt. in Verbindung mit einem Projekttag)
  • die Möglichkeit zu Exkursionen (etwa Konzertbesuche) […]

3. Musikalische Grundlagen; Vielfältigkeit, Ganzheitlichkeit, Polyästhetik

Dieses Konzept folgt einem Musikverständnis, wie es seit den fünfziger Jahren von (avantgardistischen) Künstlern und Musikern formuliert worden ist und nun auch zunehmend in der zeitgenössischen Musik, der Pädagogik und Didaktik sowie in den Richtlinien für die Gesamtschule (vergl. etwa S. 17) berücksichtigt wird. [Anmerkung: Natürlich gelten inzwischen neue Richtlinien und Lehrpläne.]

Zum Wesen von Musik gehört „Vielfalt“: Der hier zugrunde gelegte Kultur- und Musikbegriff beinhaltet folglich traditionelle Richtungen ebenso wie Rock, Pop, Jazz, Folk oder Experimentelles.

Zum Wesen von Musik gehört weiterhin „Ganzheitlichkeit“: Die emotionalen, körperlichen und kognitiven Aspekte, die Möglichkeiten der Musikproduktion sowie die Verbindung von Musik und Leben sind diesem Konzept gleichermaßen wichtig.

Musik ist in immer stärkerem Maße mit anderen Künsten verknüpft (Polyästhetik): Auch die fachübergreifenden, interdisziplinären Beziehungen zu anderen Medien und Künsten werden daher angemessen miteinbezogen, wobei das Fach Musik aufgrund der angestrebten Ziele und Intensität sicher nicht auf seine organisatorische und inhaltliche Eigenständigkeit verzichten darf, dies aber auch gar nicht braucht, denn das Fachübergreifende gehört ja seit jeher zum Wesen von Musik: Man denke etwa an das Musiktheater, um nur ein Beispiel zu nennen. […]

4. Pädagogische Grundlagen

4.1. Integration, Offenheit und Vielfalt

Dieses Konzept versteht sich auch insofern als integrativ, als es unterschiedliche, unter anderem neueste, didaktische, fachdidaktische und musikalische Ansätze sowie die Richtlinien Musik für die Gesamtschule berücksichtigt, offen gegenüber anderen Ansätzen bleibt und (methodische) Vielfalt beinhaltet – dies alles mit dem Ziel einer möglichst hohen Identifikation bei LehrerInnen und SchülerInnen.

Ein Blick in die Literatur der Musikdidaktik zeigt, welch vielfältige Vorstellungen sich gerade in den letzten Jahren entwickelt haben, was wiederum zu einer sehr unterschiedlichen Ausbildung der MusiklehrerInnen geführt hat. Man mag dies beklagen – wir sehen darin eine Chance, nämlich voneinander zu lernen und so zu einem integrativen Konzept zu gelangen. So hat jede(r) die Möglichkeit, den Unterricht im WP I derart zu gestalten, daß man sich als LehrerIn damit identifizieren und folglich auch dafür engagieren kann. Damit dies nicht zur Beliebigkeit führt, enthält diese Konzeption einen orientierenden Rahmen, der für den Unterricht im Wahlpflichtbereich I verbindlich ist. Dagegen würde es einem solchen Konzept entschieden widersprechen, wenn es zu detailliert vorgeplant wäre. Offenheit ist somit auch ein zentraler Bestandteil: Die konkrete inhaltliche Umsetzung im jeweiligen Kurs, also beispielsweise die Repertoireauswahl, wird sich sinnvollerweise unter anderem auch nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, nach dem jeweils aktuellen Kulturangebot und auch nach den speziellen Schwerpunkten der unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen richten.

Die oben dargestellte musikalische Vielfalt intendiert darüberhinaus breitgefächerte Angebote an Methoden, Umgangsformen mit Musik, Medien usw., die es auch vielen Schülerinnen und Schülern erleichtern sollen, sich mit dem Unterricht zu identifizieren. Durch ein solchermaßen selbstbestimmtes und selbstgewolltes Lernen machen sie grundlegende Erfahrungen, die für ihr zukünftiges Leben wichtig sein werden.

4.2. Freude an der Musik

Nur die Erfahrungen eines WP I – Musikunterrichts, die durch Freude und möglichst weitgehende Angstfreiheit geprägt sind und die weder LehrerInnen noch SchülerInnen überfordern, werden an der Schule eine anfängliche Begeisterungsphase und bei den SchülerInnen die Schulzeit überdauern.

Die vorherige Fassung dieser Konzeption nannte Prof. Ehrenforth „eindrucksvoll“. Wir freuen uns natürlich über diese Einschätzung. Gleichzeitig deutet sie aber auch auf eine mögliche Gefahr dieses Konzeptes hin, nämlich daß es SchülerInnen oder LehrerInnen überfordern könnte. Aus der psychologischen Forschung ist der sogenannte „Enthusiasmus-Effekt“ bekannt, der besagt, daß Anfangsphasen von Projekten oft begeisternd beginnen, der Elan nach einiger Zeit aber nachläßt, was sogar zu einem Scheitern des Projektes führen kann. Von daher erscheint die Phase der Konsolidierung als die schwierigste. Eine ständige Reflexion in der Arbeitsgruppe der beteiligten LehrerInnen über den Belastungsaspekt ist daher sehr wichtig.

Darüber hinaus ist es eigentlich eine selbstverständliche Forderung, daß die Schülerinnen und Schüler überwiegend Freude am Unterricht haben sollten. Gerade aber in unserer Kultur, in der viel weniger und viel weniger selbstverständlich instrumental musiziert wird als in anderen Kulturen, war die Beschäftigung mit Musik in der Schule und auch beim Instrumentalunterricht häufig etwas Überforderndes, manchmal sogar Quälendes, wofür es sicher vielfältige Gründe gibt. Bei nicht wenigen hat der Musikunterricht jedenfalls dazu geführt, daß sie sich für unmusikalisch halten. So etwas ist sehr problematisch, denn in der Regel sind es Hemmungen, Ängste, negative Vorerfahrungen und natürlich auch unterschiedliche Begabungen, die das Selbstbild, unmusikalisch zu sein, prägen. Ein gewisses musikalisches Grundverhalten ist jedoch grundsätzlich jedem Menschen möglich, wenn ein entsprechend förderliches Umfeld vorhanden ist. Eine wie auch immer geartete Überforderung von SchülerInnen und LehrerInnen wird jedenfalls die Entwicklung zur Musikalität verhindern. Von daher sollte ein freundliches, akzeptierendes, forderndes, aber nicht überforderndes Klima herrschen, das allen Beteiligten Zeit für ihr eigenes Entwicklungstempo läßt und Fehler als für den Lernprozeß notwendig akzeptiert. Dabei muß natürlich auch eine möglichst harmonische Einbindung des Faches in die gesamte Schulorganisation berücksichtigt werden. Erst wenn also wirkliche Freude an der Musik entsteht, wird den SchülerInnen und Schülern ein dauerhafter Transfer in den Alltag möglich werden – und den Lehrerinnen und Lehrern ein auch langfristiges und kontinuierliches Engagement.

5. Bereiche des Faches Musik im Wahlpflichtbereich I

Die folgende Unterteilung in Bereiche geschieht vor allem aus Darstellungsgründen. Aus den bisherigen Ausführungen wird sichtbar, daß eine solche Trennung im Unterricht kaum vorkommen wird. […]

5.1. Musik als Lebenshilfe (ganzheitliche Orientierung)

Im Wahlpflichtbereich I Musik erlaubt es die besondere Unterrichtsorganisation, auch Erfahrungen der Musik- und Medientherapie, der Gestaltpädagogik und avantgardistischer Kunstkonzepte – natürlich unter Beachtung der schulischen Grenzen – einzubeziehen, die den normalen Klassenunterricht überfordern würden. Hierdurch werden, bezogen auf die einzelne Persönlichkeit und auf die Gruppe, wichtige soziale Grundlagen für das gemeinsame Miteinander gelegt, die darüber hinaus zu einer allgemeinen Lebensbewältigung beitragen können.

5.1.1. Didaktisch-methodische Überlegungen

Seit jeher dient Musik der Selbstverwirklichung, ist sie in vielfältiger Weise eine Hilfe zur Lebensbewältigung. In einer Zeit, in der sich Kindheit und Jugend so radikal verändert, in der Verhaltensstörungen fast schon zum Schulalltag gehören, in der der häufig schrankenlose Konsum eines gigantischen Medienverbundsystems zur Verarmung der Erlebnis- und Handlungsfähigkeit führt, sollte sich die Schule die besonderen Möglichkeiten der Musik zunutze machen. Zwar können hierdurch keineswegs alle gesellschaftlichen Defizite kompensiert werden, dennoch gibt es wichtige Chancen.

Hierzu gibt es schon seit längerer Zeit in der Musikdidaktik Ansätze, die versuchen, Erfahrungen aus der Musik- und Medientherapie sowie der Gestaltpädagogik zu integrieren und Konzepte anbieten, die sich teilweise auch in der avantgardistischen Musik finden, etwa bei John Cage: Das Hören von Musik kann intensive Gefühls- und Phantasieerlebnisse ebenso wie Entspannung auslösen; bei musikalischen Aktionen können emotionale und körperliche Befindlichkeiten sehr unmittelbar ausgedrückt werden; Musik, auch in Verbindung mit anderen Medien, kann kreative Potentiale wecken und fördern; die Reflexion und Kommunikation über solche Prozesse kann zu mehr emotionaler Sicherheit führen und zu einer Übertragung aus dem „Schonraum Musikunterricht“ in den Alltag beitragen.

Ein Grund dafür, daß diese Ansätze sich bisher so wenig verbreiteten, mag auch der Zwangscharakter sein, den Schule normalerweise darstellt. „Traumreisen“ beispielsweise, bei denen es um assoziatives Hören und das anschließende Gespräch auch über Gefühle geht, kann man auf einer WP I Kursfahrt bei freiwilliger Teilnahme ohne weiteres anbieten – im normalen Klassenunterricht, wo dann jeder mitmachen müßte, ist das schwieriger. Beim WP I Musik fehlt aufgrund der freiwilligen Wahl außerdem ein Stück dieses Zwangscharakters, und die meisten Schülerinnen und Schüler werden daher eher bereit zu solchen Unterrichtsformen sein. Die mit der Zeit entstehende, immer stärkere Vertrautheit wird einerseits zu einem intensiveren Erfahrungsaustausch führen, andererseits aber auch eine wichtige Grundlage für das gemeinsame Musizieren sein. Weiterhin wird die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit ungewohnteren Klängen und eine selbstbestimmtere Teilnahme am Musik- und Kulturleben gefördert. Ein solches „Erleben von Musik“ ist überhaupt erst die Voraussetzung, um sich engagiert und selbstbestimmt auf Kunst einzulassen, denn auch zu deren Entstehungsprozeß hat ja ehemals emotionale Betroffenheit gehört. Darüber hinaus wird sich all dies günstig auf das Gruppenklima auswirken und das für das Musizieren so wichtige vertrauensvolle Miteinander fördern. Formen der Gesprächsführung, die sich etwa an dem Konzept der Themenzentrierten Interaktion orientieren, können all dies unterstützen. (Vergleiche etwa: Ruth Cohn, Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion, Stuttgart 1975 (Klett).

In diesem Bereich ist es besonders wichtig, daß die LehrerInnen nur die Inhalte und Methoden wählen, die sie sich zutrauen. Übungen, Methoden usw., die aus ursprünglich nicht für die Schule gedachten Zusammenhängen stammen, müssen sorgfältig für den Unterricht aufbereitet werden. (Vergleiche hierzu etwa: O.A. Burow, Grundlagen der Gestaltpädagogik, Dortmund 1988 (Modernes Lernen) und darin u.a. das Kapitel „Zur Abgrenzung von Therapie und Pädagogik, S. 118f.; E. Müller, Du spürst unter deinen Füßen das Gras, Frankfurt 1983 (Fischer)

Darauf aufbauend wird ein rational-analytischer Zugang zur Musik, der natürlich auch zu einem ganzheitlichen Konzept gehört, viel eher und befriedigender möglich sein.

5.1.2. Inhalte

Die folgenden Inhalte werden in den ersten zwei Jahren eine größere Rolle spielen als später, wenn sich schon eine Vertrautheit entwickelt hat:

  • Entspannungsübungen
  • Musiktagebücher
  • Traumreisen, assoziatives Musikhören
  • Kommunikation mit einfachen Musikinstrumenten
  • rhythmische Erfahrungen mit dem eigenen Körper
  • Improvisation mit Musik und anderen Medien (Bewegung, Licht, Theater, Farbe, Malen, Sprache, Bilder, Schattentheater)
  • Reflexion und Kommunikation über den Unterricht und die Konzerte, auch nonverbal etwa durch Schreibspiele)
  • Reflexion über den Untericht anhand von Video- und Audioaufnahmen

5.2 Selber musizieren (Handlungsorientierung)

Im WP I – Musikunterricht ist es auch Schülerinnen und Schülern ohne instrumentale Vorerfahrungen möglich, anspruchsvollere Stücke zu spielen. Unterstützt wird dies u.a. durch neue musikdidaktische Konzepte, etwa zur Didaktik populärer Musik und zum Keyboardspiel im Klassenverband. Gleichzeitig werden durch diesen handlungsorientierten Zugang Bereiche wie Notenlehre und Stilgeschichte in viel befriedigenderer Form vermittelbar.

5.2.1. Didaktisch-methodische Überlegungen

[…] im Klassenunterricht [wird man] kaum die Repertoiremöglichkeiten, die beim Musikunterricht im Wahlpflichtbereich I denkbar sind, erreichen. Dazu gehören auch, teilweise natürlich vereinfacht arrangierte Stücke aus Bereichen, die den SchülerInnen zunächst erst einmal schwer zugänglich sind, etwa aus der sogenannten „Klassik“ oder dem Jazz. […] Durch das eigene Musizieren lassen sie sich auch in einem Alter, das sonst sehr stark durch massenmediale Erfahrungen dominiert und fremdbestimmt wird, auf Fremdes und Unbekanntes ein. Die besondere Organisation des Wahlpflichtbereiches I in Verbindung mit neuen Medien ermöglicht es also, daß Stücke, die in der Vergangenheit normalerweise nur von ausgebildeten Instrumentalisten gespielt werden konnten, in vereinfachten Arrangements auch von Schülerinnen und Schülern ohne instrumentale Vorerfahrung gespielt werden können. Hierin liegt sicherlich ein wesentlicher Beitrag zu einer stärkeren Öffnung von Musik: Die Erfahrung, selber, nicht nur elementar musizieren zu können, bleibt nicht länger ein Privileg derer, die das Glück hatten, entsprechend gefördert worden zu sein.

Gleichzeitig eröffnet das auch neue Chancen für den ansonsten so schwierigen Bereich der Notenlehre. Dieser hat in diesem Konzept einerseits eine dienende Funktion und sollte nicht um seiner selbst willen Unterrichtsgegenstand sein, sondern nur in dem Maße, wie es das Spielen von Stücken notwendig macht. Gerade hierdurch erhält er aber auch eine ganz neue Wichtigkeit: Vor allem anspruchsvollere Stücke lassen sich nur bei entsprechenden Grundkenntnissen in der Notenlehre spielen.

Dies setzt natürlich entsprechende, schülerInnengerechte Arrangements voraus, die noch erstellt werden müssen. […] Dabei sollte die Chance genutzt werden, die überwiegend an elektronische Klänge gewöhnten SchülerInnen auch wieder mit traditionellen Instrumenten bekannt zu machen und beides miteinander zu verbinden. Mit der Zeit werden die SchülerInnen auch zunehmend in der Lage sein, eigene Stücke zu erstellen.

Die Geschichtlichkeit von Musik, ihre Eingebundenheit in den jeweiligen historischen Kontext, unter dessen Berücksichtigung nur ein vollständiges Verständnis möglich ist, die Beziehungen zu anderen Künsten, die Abhängigkeit bestimmter musikalischer Phänomene von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der Vergleich mit Entwicklungen in neuester Zeit, das Kennenlernen verschiedenster musikalischer Stil- und Ausdrucksmittel, die Analyse von Stücken – all dies kann sich bei der Reflexion über das Musizieren erschließen. Dabei könnte vor allem in diesem Bereich eng mit den Fächern Geschichte und Kunst zusammengearbeitet werden.

Wichtig wäre allerdings, daß Stücke aus möglichst vielen Epochen gespielt werden. Nicht Vollständigkeit, sondern eine intensive Auseinandersetzung mit einzelnen Epochen, Gattungen und Phänomenen auf vielfältigen Wegen wird angestrebt. Ein solch exemplarisches Vorgehen wird die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, sich später selbständig weitere Kenntnisse anzueignen. Die erarbeiteten Stücke aufzuführen sollte zum festen Bestandteil des Schullebens gehören, sei es nun im Freizeitbereich oder bei Schulfesten. Auch hier ist eine fachübergreifende Zusammenarbeit sinnvoll.

Ein solcher Musikunterricht geht folglich über das hinaus, was im normalen Schulorchester, etwa im AG Bereich, üblicherweise zu leisten wäre.

5.2.2. Inhalte
  • Eigenproduktion von Musikstücken aus unterschiedlichen Stilrichtungen (etwa sogenannte „Klassik“, Jazz, Rock und Pop, Songs und Folklore, Musical, Filmmusik)
  • Gesangstechniken
  • grundlegende Spieltechniken auf Orff- und Percussionsinstrumenten sowie Keyboards; Dynamik, Klangfarben
  • Übeformen (in Kleingruppen und selbständig zu Hause)
  • Spiel nach Noten
  • Rhythmus: Notenwerte, Taktarten, rhythmische Besonderheiten
  • Melodik: Tonhöhen, Melodievariationen, Unterscheidung von Motiv, Thema, Melodie
  • Harmonik: Intervalle und Dreiklänge, Dur, Moll, Kadenzen
  • Improvisation
  • Realisierung eigener Stücke
  • Einordnung der selbst gespielten Stücke in die historischen Zusammenhänge
  • Mitwirkung an Schulkonzerten

5.3. Fächerübergreifende Projekte – Reformpädagogik

Im WP I Musik ist es im Gegensatz zum Klassenunterricht möglich, durchgehend in Projekten zu arbeiten. Die Einbeziehung reformpädagogischer Methoden und Materialien, etwa der Freinetpädagogik, fördert darüber hinaus das selbstbestimmte Lernen. Vor allem durch die Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Institutionen läßt sich für die SchülerInnen ein umfassender Zugang zum Musikleben finden.

5.3.1. Didaktisch-methodische Überlegungen

[…]

Für den Klassenunterricht wird man normalerweise […] eher von einer Projektorientierung ausgehen können, während in den WP I Kursen Musik in der Regel in Projekten gearbeitet wird. (Zur begrifflichen Unterscheidung vergl. J. Bastian / H. Gudjons (Hg.): Das Projektbuch, Hamburg 1988 (Bergmann und Helbig), S. 14f.) […]

Aufgrund der heterogenen Zusammensetzung der Wahlpflichtbereiche Musik und der Einbeziehung reformpädagogischer Methoden und Materialien, etwa aus der Freinetpädagogik, besteht die Chance, daß leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler leistungsschwächere zu mehr Selbständigkeit anregen. Zur reformpädagogischen Orientierung gehört weiterhin, daß die Schülerinnen und Schüler die Unterrichtsinhalte mit zunehmendem Alter immer stärker mitbestimmen können. Eine wirkliche Mitbestimmung ist allerdings erst dann möglich, wenn ein größeres Musikrepertoire erlebt worden ist. (Zum Spannungsfeld der realen Mitbestimmungsmöglichkeiten im Zeitalter zunehmender Massenmediatisierung vergl. I. Scheller, Erfahrungsbezogener Unterricht, Frankfurt/M. 1987 (Scriptor)

Gerade die Mittelpunktlage der Gesamtschule Essen Mitte legt es nahe, mit den SchülerInnen den Schulraum zu verlassen und in Form von Exkursionen die vielfältigen Kulturangebote zu nutzen. Das Musikleben sowie das kulturelle Umfeld soll also in Projekten erlebt werden. Dies wird vor allem für die spätere Freizeitgestaltung wichtig sein.

5.3.2. Inhalte

– Zusammenarbeit mit den am Ort vorhandenen Institutionen des Kulturbetriebs (in Essen etwa Stadtbücherei, Philharmonie, Musiktheater, Folkwangmusikschule, Volkshochschule, Zeche Carl, Kinder- und Jugendtheater, Kinos, Lokal-Rundfunk und Fernsehen, Tonstudios usw.)

  • Besuch von Aufführungen und Konzerten
  • Interviews mit Künstlern und anderen Beteiligten
  • Erkundung von Kulturinstitutionen
  • Musikberufe
  • Erlernen von vielfältigen Methoden zur Darstellung von Unterrichtsergebnissen

5.4. Musik und Technik

Die schnell fortschreitende Entwicklung elektronischer Medien für den Musikbereich (beispielsweise elektronisch tonerzeugende und tonmodifizierende Geräte, Musikcomputer und Aufnahmetechnik) bietet für den Wahlpflichtbereich I Chancen, vor allem auch im Hinblick auf eine größere Vielfalt musikalischer Möglichkeiten. Es ist aber wichtig, zunächst einmal sehr behutsam und kritisch Erfahrungen zu sammeln und ein Übergewicht der Elektronik zu vermeiden; vielmehr geht es um ein gleichberechtigtes Miteinander elektronischer und traditioneller Möglichkeiten.

5.4.1. Didaktisch-methodische Überlegungen

Etwa 70 bis 90% der Musik, die Kinder und Jugendliche heute hören, sind elektronisch erzeugt. Ein moderner Musikunterricht wird diese Hörerfahrungen der SchülerInnen angemessen mit einbeziehen müssen, vor allem da diese Entwicklung erst am Anfang steht. Dies erfordert aber von den MusiklehrerInnen zunehmend ein Spezialwissen, das nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, zumal sich die Entwicklungen in rasantem Tempo ständig verändern. Von daher wird der Einsatz elektronischer Medien in diesem Konzept als Möglichkeit, keinesfalls aber als Verpflichtung angesehen. Dabei ist darauf zu achten, daß die mögliche Faszination elektronischer Medien nicht zu einem Übergewicht führt, da diese nur einen Teil der notwendigen musikalischen Grunderfahrungen ermöglichen können. Im Vordergrund sollte vielmehr die Frage stehen:

Welche elektronischen Möglichkeiten können bei einem (auch finanziell) angemessenem Aufwand die Ziele dieses Konzeptes („Eine musikalische Chance für alle“) unterstützen?

5.4.2. Inhalte

Aufgrund der erst anfänglichen Entwicklung in diesem Bereich lassen sich folgende Möglichkeiten andeuten:

Wie schon erwähnt bietet die Entwicklung von Keyboards (Tasteninstrumente mit unterschiedlicher elektronischer Klangerzeugung) erstmals in der Geschichte des Musikunterrichts die Chance, auch in größeren Gruppen ohne Vorkenntnisse weitgehend differenziert zu musizieren: Durch die Kopfhörer ist das Üben im Klassenverband möglich. Auch enthalten die Keyboards unterschiedliche Klänge, die in Verbindung mit traditionellen Instrumenten (Orff,- Rhythmus,- und Orchesterinstrumenten) zu reizvollen Arrangements führen können. Dabei sind Keyboards mit reduzierten Funktionen (etwa ohne aufwendige Rhythmus- und Begleittechniken), die nicht durch elektronische Spielereien vom Musizieren ablenken, für den Klassenunterricht besonders geeignet, während Synthesizer und Sampler vor allem im Hinblick auf Aufführungen zum Einsatz kommen sollten.

Musikcomputer bieten zur Zeit u.a. folgende (Selbst)lern- und Gestaltungsmöglichkeiten: Aufnehmen, Notieren und Ausdrucken von Musikstücken; Kompositions- und Arrangierhilfen; Erlernen von Intervallen, Akkorden, Tonleitern, Rhythmen und von speziellen elektronischen Musik-Übertragungsmöglichkeiten (MIDI). Erstmals ist es hierdurch möglich, sich in Selbstlernverfahren und mit relativ geringem Aufwand auf Teile von Aufnahmeprüfungen für ein Musikhochschulstudium vorzubereiten.

Die Weiterentwicklung der Aufzeichnungsmöglichkeiten von Musik wird es immer leichter machen, ansprechende Tonaufnahmen von Eigenproduktionen der SchülerInnen zu erstellen, sei es im Klassenraum oder auch im Tonstudio. […]

6. Verteilung der Themen im Wahlpflichtbereich I auf die Jahrgänge

Aufgrund der angestrebten Schülerorientierung und der Einbeziehung des jeweils aktuellen Kulturangebotes muß die Verteilung der Themen auf die einzelnen Jahrgänge in jedem einzelnen Fall wieder neu überprüft und aktualisiert werden.

Insbesondere ist für den Bereich Musik als Lebenshilfe eine verbindliche thematische Verteilung auf die Jahrgänge nicht möglich, da dies sehr stark vom jeweiligen Gruppenverlauf abhängen wird.

6.1. Klasse 7

Musik als Lebenshilfe

  • Kennenlernen und Gruppenbildung mit Instrumenten und anderen Medien
  • Entspannungsübungen
  • Traumreisen – kontemplatives Hören (unter besonderer Berücksichtigung der Lerngruppe, wie im Erfahrungsbericht ausführlich beschrieben), assoziatives Hören, Austausch der Erfahrungen im Gespräch
  • Rhythmus und Körpergefühl
  • Meine Lieblingsmusik
  • Führen eines Musiktagebuches

Selber musizieren

  • Gesang, Gesangstechniken
  • Kennenlernen grundlegender Spieltechniken auf Rhythmus- und Melodieinstrumenten
  • Spielen von Stücken mit rhythmischen Schwerpunkten
  • Rhythmus: Notenwerte, Taktarten, rhythmische Besonderheiten (z.B. „swing“)
  • Übeformen (in Kleingruppen und selbständig zu Hause)
  • Teilnahme am Schulkonzert

Fächerübergreifende Projekte

  • Kennenlernen eines Musiktheaterwerkes (z.B. West-Side-Story im Film, im Opernhaus, in der Literatur, Spielen eines Stückes)
  • Besuch und Besichtigung des Aalto Theaters
  • Besuch von Konzerten (z.B. Konzert für junge Leute)
  • Kennenlernen der Folkwangmusikschule

Musik und Technik

  • Kennenlernen des Keyboardes
  • Handhabung von Mikrophonen

6.2. Klasse 8

Musik als Lebenshilfe

  • Improvisation mit Musik und anderen Medien (Bewegung, Licht, Farbe, Theater, Malen, Sprache, Bilder, Schattentheater)
  • Reflexion und Kommunikation über den Unterricht und die Konzerte, auch nonverbal (etwa durch Schreibspiele)

Selber musizieren

  • Gesang, Gesangstechniken
  • Erweiterung der Spieltechniken, Spiel nach Noten, Improvisation
  • Spielen von Stücken mit melodischen Schwerpunkten
  • Melodik: Notenkunde (Tonhöhe, Rhythmus: Vertiefung und Erweiterung), Melodievariation, Unterscheidung von Motiv, Thema und Melodie
  • Einordnung der selbst gespielten Stücke in die historischen Zusammenhänge
  • Teilnahme am Schulkonzert

Fächerübergreifende Projekte

  • Kennenlernen eines Musiktheaterwerkes
  • Besuch von Konzerten, in denen nach Möglichkeit die selbstgespielten Stücke aufgeführt werden)
  • Interview mit Musikern
  • Kennenlernen der Musikbücherei
  • Kennenlernen von Methoden zur Darstellung und Veröffentlichung von Unterrichtsergebnissen (z.B. aus der Freinetkartei)

Musik und Technik

  • Einführung in die Tontechnik (Aufnahme, Wiedergabe, Verstärkung)

6.3. Klasse 9

Musik als Lebenshilfe

  • Reflexion über den Unterricht anhand von Audio- und Videoaufnahmen

Selber musizieren

  • Erweiterung der Spieltechniken, Spiel nach Noten, Dynamik und Klangfarben
  • Spielen von selbst ausgewählten Stücken
  • Harmonik I: Intervalle; Dreiklänge in Moll und Dur
  • Einordnung der selbst gespielten Stücke in die historischen Zusammenhänge
  • Differenzierte Systematisierungen (z.B. Jazzdefinition)
  • Teilnahme am Schulkonzert

Fächerübergreifende Projekte

  • Kennenlernen eines weiteren Musiktheaterwerkes nach Schülerinteresse
  • Musikberufe
  • Kennenlernen von Methoden zur Darstellung und Veröffentlichung von Unterrichtsergebnissen (z.B. aus der Freinetkartei)

Musik und Technik

  • Bühnen- und Verstärkungstechnik

6.4. Klasse 10

Musik als Lebenshilfe

  • Reflexion: Vier Jahre WP I – Wie geht es für mich weiter?

Selber musizieren

  • Spielen von selbst ausgewählten Stücken
  • Komposition und Realisation eigener Stücke
  • Arrangieren
  • Dirigieren
  • Improvisation
  • Harmonik II: Kadenzen (u.a. Bluesschema)
  • Einordnung der selbst gespielten Stücke in die historischen Zusammenhänge
  • Teilnahme am Schulkonzert
  • eigenes Abschlußkonzert ?

Fächerübergreifende Projekte

  • Kennenlernen eines weiteren Musiktheaterwerkes nach Schülerinteresse
  • Möglichkeiten der Volkshochschule

Musik und Technik

  • Tonstudiotechnik
  • Aufnahme einer eigenen Audiokassette ?
  • Erstellung eines eigenen Videofilmes ?

7. Zur Einbeziehung des Wahlpflichtvereichs II

Bei entsprechendem Interesse der SchülerInnen wäre es durchaus möglich, diese Konzeption auch zur Grundlage für ein dreistündiges Wahlpflichtbereich II Fach Musik in Klasse 9 und 10 zu machen. In diesem Fall würde es sich anbieten, gegenüber dem WP I- Konzept notwendige Reduzierungen so vorzunehmen, daß die Eigenproduktion von Stücken im Mittelpunkt des Unterrichtes stünde.

8. Leistungsüberprüfung

Wie im Pflichtbereich artikulieren sich Schülerleistungen auch hier durch mündliche Beiträge (u.a. Referate) sowie schriftliche (z.B. Arbeitsmappe, Lernzielkontrolle) und praktische Leistungen (Gestaltungsarbeit; instrumentale und vokale Beteiligung).

Im Bereich der praktischen Leistungen ist besonders zu beachten, daß neben dem Ergebnis der Arbeit auch der Lernprozeß bzw. die Intensität der Auseinandersetzung mit Instrument bzw. Stimme beurteilt wird. Fertigkeiten, die außerhalb des schulischen Unterrichts erlernt wurden, können in die Leistungsbeurteilung nur dann eingehen, wenn sie sich unterrichtlich dargestellt und weiterentwickelt haben.

Die im Pflichtbereich geltenden Verfahren zur Feststellung von Schülerleistungen finden auch hier ihre Anwendung. Darüberhinaus sind 2 Klassenarbeiten pro Halbjahr zu schreiben. In der Ausführung bieten sich verschiedene Formen an:

  • schriftliche Darstellung
  • Gestaltungsarbeit
  • Kombination von schriftlicher Darstellung und Gestaltungsarbeit
  • projektorientierte Hausarbeit

 

2. Praktische Erfahrungen im Schulversuch

Schulversuch Musik an der Gesamtschule Essen-Mitte
Von Gerd Haehnel

Der folgende Aufsatz aus der Zeitschrift “neue deutsche schule” (44. Jg., Heft 10 v. 2.6.1992, S. 16-18) berichtet von der praktischen Arbeit der ersten Jahre im Schulversuch “Musik als Hauptfach” an der damaligen Gesamtschule Essen Mitte, der vom damaligen Schulleiter, Herrn LRSD Jörg Hoffmann initiiert wurde – ein herzliches Dankeschön an ihn für diese großartige Perspektive -, und den ich konzipiert und zehn Jahre geleitet habe, und der immer noch existiert: “Frida Levy Gesamtschule” .

Mit SchülerInnen zu musizieren, deren Eltern sie bisher nur wenig unterstützen konnten, ihnen die faszinierenden Möglichkeiten der Musik zur Persönlichkeitsentwicklung zu eröffnen sowie eine aktive und selbstbestimmte Teilhabe am Kulturleben zu ermöglichen – all dies sind wichtige Chancen des Schulversuches Musik, die wir an der Gesamtschule Essen Mitte mit der Integration des Faches Musik in den Wahlpflichtbereich 1 als Wahlmöglichkeit mittlerweile im vierten Jahr anbieten.

Musische Fächer im Wahlpflichtbereich

Als 1986 der Aufbau der Gesamtschule Essen Mitte begann, war das Kollegium einhellig der Meinung, einen musischen Schwerpunkt bilden zu wollen, um die Standortnachteile unserer Schule („Verkehrsinsel in der Innenstadt“) ins Positive zu wenden. Mit dem Wahlpflichtbereich 1 bietet die Gesamtschule nach unseren Erfahrungen für den musischen Unterricht eine ideale, bisher noch viel zu wenig genutzte Möglichkeit. Wer an unserer Schule beispielsweise das Fach Musik im Wahlpflichtberich 1 wählt, hat in den Klassen 7-10 drei bis vier Wochenstunden Musik zusätzlich zum normalen Klassenmusikunterricht bzw. zu den Arbeitsgemeinschaften, und zwar unter unterrichtsorganisatorischen Bedingungen, die für eine im weitesten Sinne reformpädagogische Orientierung sehr förderlich sind: Zu nennen sind insbesondere die große zeitliche und organisatorische Kontinuität sowie die freiwillige (!) Wahl – und damit verbunden das überdurchschnittliche SchülerInneninteresse. […] Aufgrund der besonderen Unterrichtssituation im Wahlpflichtbereich 1 ist uns ein im Vergleich zum normalen Klassenmusikunterricht oder zum normalen AG-Bereich qualitativ anderer Musikunterricht möglich.

Pädagogische Prinzipien

Mit musikalischen Phänomenen beschäftigen wir uns in fächerübergreifenden, durchgehend projektorientierten Unterrichtsformen, wozu ebenfalls das gemeinsame Musizieren durchaus auch anspruchsvollerer Stücke gehört: Der „Bolero“ von Ravel wird nicht nur im Schulkonzert aufgeführt, sondern ist auch Anlaß für eine Beschäftigung mit dem Konzertbetrieb; bei der Aufführung eines Stückes aus der „Zauberflöte“ entsteht die Idee zu einer Ausstellung in der Musikbücherei über Kunst, Kitsch und Kommerz im Mozartjahr; nach dem Interview mit Klaus Lage bei einem seiner Konzerte sind die SchülerInnen so begeistert, daß erst einmal „Zoom“ („1000 mal berührt“) geprobt wird. Von Seiten der SchülerInnen sind hierfür keinerlei Voraussetzungen nötig – dies erreichen wir durch die Verbindung von traditionellet Instrumenten (Orff-, Rhythmus-, Orchesterinstrumente) und neueren elektronischen Instrumenten (Keyboards evtl. in Verbindung mit Musikcomputern – Musik und Technik.) An der Unterrichtsgestaltung beteiligen wir die SchülerInnen in großem Maße, und wir nehmen uns viel Zeit und Ruhe, um ein emotional und sozial tragfähiges Klima zu entwickeln. (Musik als Lebenshilf) Sehr wichtig ist uns schließlich die Zu.sammenarbeit mit den unterschiedlichsten Kulturinstitutionen.

Zum Beispiel: Das Projekt „West-Side-Story“

Im ersten Jahr (Klasse 7) wurde ein Projekt zur „West-Side-Story“ durchgeführt: Zunächst schauten wir uns in einem Kino die Filmfassung an. Dann wählten die SchülerInnen gruppenweise Themen zu diesem Musical. So entstanden „Steckbriefe“ der Hauptpersonen, Bühnenmodelle, Inhaltsangaben, ein Vergleich mit der Gewaltproblematik in deutschen Jugendgruppen usw. Mit Literatur half uns die Stadtbücherei. Die Gruppenergebnisse wurden im Kurs gemeinsam besprochen. Dann wählten die SchülerInnen aus dem Musical das Stück aus, das sie selber spielen wollten: „America”. Da sich nur drei Instrumentalisten im Kurs befanden, wurde eine spezielle Partitur, auch für Orff-Instrumente und Keyboards, erstellt. Parallel dazu besichtigten wir das Musiktheater und führten dort Interviews durch, die teilweise in der Schulzeitung erschienen. Es folgte der Besuch einer Aufführung des Musicals. Dann stand eine Klassenarbeit an, in der die SchülerInnen ihre „America“-Stimmen vorspielten. Abschließender Höhepunkt war schließlich die Aufführung des Stückes im Rahmen des Schulkonzertes, bei dem wir an unserer Schule in jedem Jahr unter Beteiligung möglichst vieler SchülerInnen zeigen, was im Unterricht erarbeitet worden ist. Heute, zweieinhalb Jahre später, sind wir dabei, unsere erste eigene Kassette aufzunehmen, und natürlich wird auch „America“ nicht fehlen.

Offene Richtlinien

Die Konzeption, die wir gemeinsam erarbeitet haben, enthält einerseits feste Vorgaben, läßt andererseits aber auch viel Raum zur individuellen Unterrichtsgestaltung – eine Vorgehensweise, die der häufig unterschiedlichen Ausbildung von uns Musiklehrerlnnen gerecht wird. Für uns sind das also „Richtlinien“ im wahrsten Sinn des Wortes, denn wir können uns im Unterricht nach den eigenen Fähigkeiten und Wünschen sowie nach den SchülerInnen bzw. nach dem aktuellen Kulturangebot richten, so daß jeder Kurs die enorm wichtige Möglichkeit einer starken Identifikation mit der eigenen Arbeit hat. Zwei Beispiele: Ob man das Thema „Rhythmus“ (vorgesehen für die Klasse 7) am Bolero oder an einem Jazz-, Latin- oder Rockstück erarbeitet, spielt keine Rolle. Und daß man sich überhaupt am Schulkonzert beteiligt, ist wichtiger als die Tatsache, ob man dies mit einer Ausstellung oder mit Auftritten bewerkstelligt.

„Normaler” Musikunterricht

Zur Zeit arbeiten wir an einer Konzeption, die uns helfen soll, die Begeisterung der SchülerInnen in der Orientierungsstufe noch besser aufzufangen, als dies im normalen Fachunterncht möglich ist: Jahrgangsgebundene Arbeitsgemeinschaften sowie entsprechende Freizeitangebote (u. a. auch Instrumentalunterricht in Zusammenarbeit mit der Musikschule) in Klasse 5 und 6, die sich nach Möglichkeit personell und inhaltlich am zweistündigen Musikunterricht in den Klassen orientieren, bieten ein vertiefendes (praxisorientiertes) Musikangebot für alle SchülerInnen eines Jahrganges auf freiwilliger Ebene. […] Für die Oberstufe im nächsten Jahr ist schon jetzt sehr viel Interesse an einem Musikleistungskurs zu beobachten.

Grundlegende Voraussetzungen

Über das vielfältige Interesse von Kolleglnnen anderer (Gesamt-) schulen an unserer Konzeption, an der wir mittlerweile im sechsten Jahr arbeiten, haben wir uns natürlich gefreut – bis hin zu der Tatsache, daß sich im nächsten Jahr erstmals eine andere Gesamtschule an unserer Konzeption orientieren und entsprechende Fächer im Wahlpflichtbereich 1 anbieten wird. Wir wollen allerdings auch nicht verschweigen, daß für uns einiges nicht immer ganz einfach war, und nach unserer Erfahrung bedarf es einiger grundlegender Voraussetzungen:

Interesse bei den Musiklehrerlnnen

Die Einarbeitung in ein solch neues Konzept erfordert zusätzliches Engagement. Im Laufe der Zeit bekommt man zwar viel Routine, und ein erfolgreiches Schulkonzert bringt auch viel Anerkennung mit sich, aber der Belastungsaspekt ist keinesfalls unerheblich.

Unterstützung durch die Schule und die Schulaufsicht

Die Durchführung des Schulversuches wäre ohne die wohlwollende Unterstützung durch unsere KollegInnen, durch die Schulleitung sowie durch die vielen SchülerInnen, Eltern und vor allem auch durch die Schulaufsicht nicht möglich gewesen.

Ausreichende Raumsituation

Für dieses Konzept ausreichend, aber auch unabdingbar notwendig, erscheint uns eine Raumsituation wie sie im Raumprogramm des Kultusministers für die Schulen der Sekundarstufe 1 bzw. für die gymnasiale Oberstufe (RdErl. v. 19. 5. 1983) für den ganz normalen Musikunterricht vorgesehen ist. Dies bedeutet etwa für eine sechszügige Gesamtschule inklusive Oberstufe: 3 Musikräume sowie entsprechende Nebenräume, die vor allem für das Musizieren von Gruppen, für das Proben von Schulbands, für den Instrumentalunterricht usw. wichtig sind. Einschränkend sei allerdings angemerkt, daß diese Räume beispielsweise nicht ausreichen, sobald eine Schule auf zwei weiter auseinanderliegende Gebäude verteilt wird.

Ausstattung

Notwendig ist eine ausreichende Ausstattung für das praktische Musizieren, bestehend aus Rhythmus-, Orff- und elektronischen Instrumenten. Durch diese Mischung lassen sich vielfältigste Klangvorstellungen realisieren. Und ein Keyboardraum (mit Kopfhörern) entlastet beispielsweise den Freizeitbereich in der Orientierungsstufe sehr. Natürlich ist der Umfang der Ausstattung wiederum von der Raumsituation abhängig: Bei nebeneinanderliegenden Räumen benötigt man viel weniger Material, weil man sich mit den anderen KollegInnen absprechen kann. Und: Durch Schulkonzerte, Spenden, Unterstützung durch den Förderverein usw. läßt sich nach unserer Erfahrung viel bewirken.

Personelle Situation

Da wir, wie viele andere Schulen auch, eigentlich nicht genügend MusiklehrerInnen für einen solchen Schulversuch haben, sind wir sehr froh, daß einige KollegInnen bei uns fachfremd eingestiegen sind. Sehr hilfreich war für uns dabei die Organisation kollegiumsinterner Fortbildungen in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule – eine Vorgehensweise, die nicht verschleiern sollte, daß mehr (Musik-)lehrerlnnen eingestellt werden müßten.

Entlastungsstunden

Zumindest für die Aufbauphase werden ausreichend Entlastungsstunden gebraucht. Die Anzahl hängt wiederum von den Rahmenbedingungen ab: Wieviel Energie muß in das Beschaffen von Spendengeldern investiert werden? Erleichtert oder erschwert die Raumsituation das Arbeiten? Wie ist die Unterstützung im Kollegium bzw. durch die Schulleitung?

Arbeitsmaterialien

Neben den üblichen Schulbüchern, in denen man genügend Material für das projektorientierte Arbeiten findet, benötigt man vor allem schülerlnnegerechte Arrangements, von denen es bisher leider zu wenig gibt. Aufgrund der zahlreichen Nachfragen haben wir begonnen, unsere eigenen Arrangements in einer Reihe „Macht Musik!“ herauszugeben. Die dazugehörigen Kassetten erleichtern das binnendifferenzierte Arbeiten. [… Anmerkung: Diese Materialien sind leider nicht mehr erhältlich, aber zumindest Heft 1 haben wir in “Die Klassenmusiker” eingearbeitet. G.H.]

Unser Anliegen war und ist es, das „Nebenfach“ Musik etwas mehr zu dem zu machen, was es im Bewußtsein der SchülerInnen, meist allerdings beschränkt auf den Freizeitbereich, sowie in anderen Kulturen schon lange ist: Etwas Wesentliches. Bei unserem Vorhaben sind wir auf viel Begeisterung gestoßen, andererseits kostet es uns immer noch viel mühsame Überzeugungsarbeit, Bedingungen zu erhalten, wie sie für vergleichbare Fächer längst schon üblich sind. Immer mehr Eltern wählen für ihre Kinder nicht zuletzt aufgrund des musischen Angebotes eine Waldorfschule. Wir meinen, daß es auch im Regelschulbereich attraktive musische Angebote geben sollte – eine Konzeption, mit der wir bei vielen unseren Eltern auf Begeisterung stoßen!